In unseren Händen halten meine Kollegin Anthea und ich mit Begeisterung das fertige Produkt, das uns nach herzlicher Begrüßung von Produktionsleiter Manfred Weiß überreicht wurde: Eine wunderschöne, aus überschüssigem GORE-TEX Material genähte Umhängetasche, die mit einem Reißverschluss geschlossen werden und von einer Kordel mit "Fisherman's-Knoten" umgehängt werden kann. An der Frontseite der Tasche befinden sich abgesetzt noch zwei kleine Taschen für ein wenig Schnickschnack.
Es ist nicht nur irgendeine Tasche aus der Massenproduktion. Diese Tasche wurde mit viel Liebe und Herzblut von Hand genäht. An der Zahl 600 Mal, um unsere Kooperation mit der Freeride World Tour mit einem handgemachten Accessoire zu unterstreichen.
Näherin Julia (Name von der Redaktion geändert) hat eine maßgebliche Rolle in der Produktion dieser Taschen gespielt. Als ich die Näherei der Werkstätte in Pfaffenhofen gemeinsam mit meiner Kollegin Anthea, die das Projekt der Taschen seitens Gore leitet, betrete, sitzt Julia an ihrer Nähmaschine und winkt uns fröhlich zu. Julia ist gehörlos, sie ist gerade dabei, die letzten 50 Taschen gemeinsam mit ihren Kollegen und Kolleginnen fertigzustellen. Ich sehe das Funkeln und den Stolz in ihren Augen. Zurecht, denn Julia ist eine der besten Näherinnen der Werkstatt, erklärt mir Anna Maria Wörle, die seit fast vier Jahren Gruppenleiterin der Näherei für Menschen mit Beeinträchtigung ist. Unterstützt wird sie dabei von Betreuungshelferin Lucie Maller. Die beiden Frauen finden so viel Erfüllung in ihrer Arbeit mit den Beschäftigten. „Das Schönste an dieser Aufgabe ist, dass man so viel von unseren Mitarbeitern zurückbekommt. Wir möchten sie fördern und auf den freien Arbeitsmarkt vorbereiten, so gut es uns eben möglich ist.“
In der Regens Wagner Werkstätte für Menschen mit Behinderung gehen alle zusammen ein Stück ihres Lebensweges gemeinsam.
Bei „Regens Wagner“ hat Julia eine Schneiderin-Ausbildung absolviert und kann somit die Produktion unserer „Freeride World Tour x GORE-TEX Taschen“ mit Expertise und Geschicklichkeit unterstützen. Sie ist eine von circa 45 Beschäftigten der Werkstätte am Standort in Pfaffenhofen, die unter dem Konzept „Regens Wagner“ arbeiten. Insgesamt umfassen die beiden Standorte von Manfred Weiß circa 170 Beschäftigte.
Die Grundidee von 1847 wird bis heute gelebt
Johann Evangelist Wagner und die Meisterin Theresia Haselmayr wollten Menschen mit Behinderung helfen. Dafür gründeten sie 1847 die erste Einrichtung in Dillingen, Bayern. Aus diesen Anfängen hat sich das Regens-Wagner-Werk entwickelt. Heute führen Manfred Weiß und sein Team in zwei Produktionsstätten in Bayern das Erbe der Gründer weiter.
„Wir bieten Menschen, die wegen der Art oder Schwere der Beeinträchtigung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem freien Arbeitsmarkt vermittelbar sind, einen Arbeitsplatz oder eine geeignete Tätigkeit an. Die Werkstätte ist somit eine Einrichtung zur beruflichen Rehabilitation und hat als Ziel die (Wieder-) Eingliederung in die berufliche Arbeitswelt“, erklärt mir Manfred Weiß, der seit sechs Jahren die Produktionsstätte leitet und bereits seit zwanzig Jahren in diesem Berufsfeld tätig ist.
Individuelle Förderung wird groß geschrieben
Die Beschäftigten starten mit einer dreimonatigen Testphase, um individuelle Stärken und Schwächen auszutesten und zu sehen, welcher Arbeitsbereich gut zu ihnen passt. „In der Regel sollte man im ersten Jahr drei verschiedene Arbeitsbereiche durchlaufen, um die persönliche Präferenz herauszufinden, im zweiten Jahr sind die Beschäftigten dann in dem Bereich, in dem sie gern arbeiten möchten, sei es die Näherei, Verpackung, Montage oder auch in der Landwirtschaft,“ erläutert Manfred. Auf Individualität wird hier großer Wert gelegt.
Die Mitarbeiter können sich bei Bedarf im Ruheraum erholen oder den Mehrzweckraum für Kursangebote wie Yoga oder Taekwondo nutzen. Im Speisesaal gibt es Raum und Zeit für gemeinsame Pausenzeiten und Mittagessen.
Das eigentliche Kerngeschäft der Werkstätte sind Kirschkernkissen für den Handel, rund 300.000 Stück werden hier pro Jahr von Hand genäht. Da ist unsere GORE-TEX Tasche eine willkommene Abwechslung und eine neue Herausforderung für die Mitarbeiter.
Von A-Z mit Liebe gemacht, in echter Teamarbeit
Wie entsteht unsere Tasche in einzelnen Schritten? Das kann mir Gruppenleiterin Anna Maria Wörle bestens beantworten. In der Arbeitsvorbereitung wurde geklärt, wie viel an Kordeln und Reißverschlüssen bestellt werden muss. In der Zwischenzeit hat sich meine Kollegin Anthea Gedanken über das Design der Tasche gemacht und eine Skizze erstellt.
Anhand der Skizze erstellt Anna Maria einen Prototypen, somit kennt sie die einzelnen Arbeitsschritte unserer Tasche und kann einschätzen, welcher Mitarbeiter welche Arbeitsschritte am besten übernehmen könnte. Nach der Lieferung unserer GORE-TEX Laminat-Rollen wurden die einzelnen Lagen gemäß Schnittmuster zugeschnitten.
„Der „Fisherman's-Knoten" war eine schöne Herausforderung, wir mussten erstmal probieren, wie das am besten funktioniert. Meine Mitarbeiterin ist nun eine echte Meisterin geworden und hat für 700 Taschen die Kordeln runtergeschnitten und die Knoten geübt. Das läuft jetzt wie am Schnürchen! Diese Dame übernimmt auch die Endkontrolle aller Taschen“, erzählt mir Anna Maria.
So wird jedem Mitarbeiter nach Stärken eine Aufgabe zugeteilt, die gleichzeitig eine neue Herausforderung bedeutet und zum individuellen Wachstum beiträgt. Das nenne ich echte Teamarbeit.
Ob körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen, Autismus oder Hörschädigung, die verschiedenen Arten von Behinderungen müssen individuell behandelt und das Personal entsprechend geschult werden, hierzu ist eine Sonderpädagogische Zusatzausbildung nötig (SPZ), die mit der geprüften Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung (gFAB) vertieft werden kann, um beispielsweise die Funktion des Gruppenleiters zu übernehmen.
Für Menschen mit Handicap da sein
„Unsere Mitarbeiter bekommen eine Struktur und wir bekommen so viel von ihnen zurück,“ sagt Betreuungshelferin Lucie. Anna Maria und Manfred stimmen kopfnickend zu und ergänzen, dass es das allgemeine Ziel sei, den Mitarbeitern die Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln, selbständiger zu werden und neue Arbeitsschritte kennenzulernen. Es herrsche kein Leistungsdruck wie auf dem freien Markt, es gehe um gegenseitiges Vertrauen und darum, Menschen mit Handicap ganz genauso zu behandeln wie jeden anderen auch.
Das Ziel, alle Mitarbeiter auf dem freien Arbeitsmarkt zu integrieren, ist ambitioniert, doch spornt an, an Wille, Zuverlässigkeit, Kritikfähigkeit und Selbständigkeit der Menschen mit Beeinträchtigung gemeinsam zu arbeiten, in der Hoffnung, dass mehr und mehr Unternehmen die Offenheit und soziale Ader haben, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, wie jeden anderen eben auch.
Wir sind wahnsinnig stolz auf jede einzelne Tasche und möchten uns ganz herzlich beim gesamten Team der Werkstätte Regens Wagner Hohenwart in Pfaffenhofen bedanken.