Die Geschichte eines Langzeit-Projekts
Seit nunmehr 17 Jahren haben GORE-TEX Athlet Stefan Glowacz und sein Kumpel Markus Dorfleitner eine besondere Linie an der Schwarzen Wand im Wettersteingebirge im Visier. Trotz diverser Anläufe hat eine erfolgreiche Rotpunktbegehung bisher nicht geklappt. Gerade im „Corona-Sommer“ wollen die beiden Kletterfreunde noch einmal alles auf eine Karte setzen.
Seht hier das Video zu Stefans Versuch der Rotpunktbegehung der Schwarzen Wand:
Mitte Mai 2020: In Deutschland wurden gerade die strikten Ausgangsbeschränkungen gelockert, da postet Stefan Glowacz auf Instagram ein Selfie von einer Felswand im Höllental und schreibt dazu: „Wir dürfen klettern! We are back in the game! Never ending story: longterm project #SchwarzeWand“
Wer Stefan Glowacz auf seinen Social Media Kanälen folgt, kennt längst das Langzeit-Projekt an der so genannten „Schwarzen Wand“. Es ist ein Vorhaben, das den Abenteurer aus Bayern seit 17 Jahren beschäftigt und dabei vor seiner Haustür auf ihn wartet. Das Objekt der Begierde dabei: Eine über 300 Meter hohe, steile, teils stark überhängende nackte Felswand im so genannten Höllental. Bergsteiger starten durch eben dieses einzigartig wilde Hochtal im Wettersteinmassiv auf Deutschlands höchsten Berg, die Zugspitze. Doch dieser Gipfel ist für Glowacz und Dorfleitner Nebensache.
Photo Credit: Moritz Attenberger - Glowacz GmbH
2001 stach Glowacz und seinem Kletterkumpel Markus Dorfleitner eine zentrale, unheimlich ästhetische und anspruchsvolle Linie an der Schwarzen Wand ins Auge: Acht Seillängen ist sie lang, gespickt mit Schwierigkeiten bis zum 11. Grad. Ein normalsterblicher Kletterer wird diese delikate Route nie im Leben frei durchsteigen können. So ein Kaliber bleibt ausschließlich Experten vorbehalten. Glowacz und Dorfleitner wollen es diesen Sommer endgültig wissen und hoffen inständig, diese Route endlich frei durchsteigen zu können. Allerdings: „Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Seit 17 Jahren beschäftigen wir uns nun schon damit“, sagt Glowacz. Dorfleitner grinst und nickt zustimmend: „Als wir hier die ersten Versuche starteten, spielten dort unten noch unsere Kinder am Bach.“ Dorfleitner ist heute 47, seine Söhne sind 21 und 22, die Glowacz-Drillinge mittlerweile 23 Jahre alt. 2005 hatten GORE-TEX Athlet Stefan Glowacz und Dorfleitner die Route eingebohrt, mit Haken in großen Abständen versehen und abgesichert. Seither versuchen sie im Duo eine Rotpunktbegehung. Das heißt: Im Idealfall an einem Tag die gesamte Route sturzfrei zu durchsteigen.
Wann immer es die gemeinsame freie Zeit erlaubt, pilgern die beiden befreundeten Kletterer ins Höllental. „Aber so ist das eben mit Projekten vor der Haustür“, gibt Glowacz im Interview zu. „Du verschiebst sie auf später. Eilt ja nicht. Mal war ich auf Expedition, mal stoppte uns eine Verletzung oder das schlechte Wetter, mal war Markus verhindert ...“ Und so zogen die Jahre in die Lande. Stefan Glowacz muss sich mit 55 Jahren natürlich gewissermaßen auch eingestehen: „Die Uhr tickt. Bald schaffen wir eine derart schwere Route rein körperlich nicht mehr.“ Deshalb wollen die beiden Uralt-Freunde das gemeinsame Projekt noch einmal ernsthaft angehen und sich intensiv damit beschäftigen. Wobei: GORE-TEX Athlet Stefan Glowacz hat den Corona-bedingten Lockdown gut überstanden, diszipliniert zu Hause trainiert und an seiner Fitness gearbeitet: „Nach der Lockerung sind Markus und ich sofort zu unserer Wand aufgebrochen. Keine Menschenseele war in der Region. Herrlich war das!“
Photo Credit: Moritz Attenberger - Glowacz GmbH
Beobachtet man Glowacz beim Klettern in der Route, sehen seine Bewegungsabläufe unheimlich routiniert, kontrolliert und dabei überaus grazil aus. Tritt für Tritt, Zug um Zug – er scheint die Wand fest im Griff zu haben. Ähnlich wie ein Balletttänzer streng einer Choreografie folgt, hat auch Glowacz längst die einzelnen Bewegungsabläufe verinnerlicht. Bis es ihn an der Schlüsselstelle an winzigen Griffen, die so klein sind, dass man darauf lediglich mit halber Fingerkuppe Halt findet, wieder aus der zwei Meter überhängenden Wand wirft. „Sch….!“ schallt es aus den Felsen während Glowacz ins Seil fällt.
Was die beiden Kletterer brauchen? Etwas Glück natürlich, aber vor allem perfekte Bedingungen: ein langes Schönwetterfenster, nicht zu warm darf es sein, nicht zu kalt, im Idealfall windstill. Glowacz gibt zu, glücklich darüber zu sein, fünf Kilogramm abgespeckt zu haben: „Mit 65 Kilo klettert es sich leichter als mit 70. Jedes Gramm kann entscheidend sein.“ Dorfleitner, der beim Neubau der Höllentalangerhütte geholfen hat, nutzte einst die Gunst der Stunde. Als ein Helikopter Baumaterial ins Höllental transportierte, ließ er ein Brett mit nach oben fliegen. „S’Bankerl“ nennen die beiden Kletterer die kleine Plattform, die sie unterhalb der vierten Seillänge als Rastplatz in den Felsen montiert haben.
Dramen haben sich freilich auch schon abgespielt. Einmal brach Dorfleitner beim Klettern an einer entscheidenden Stelle eine Felsschuppe aus. Ihr Fehlen hätte das Ende des Projekts bedeutet. Also nahm er das gute Stück mit in seine Werkstatt, brachte mit einem Diamantbohrer Fixierungen an und klebte die Schuppe später wieder in die Wand. Exakt an der Stelle, an der sie ausgebrochen war.
Glowacz und Dorfleitner hatten 2017 schon einmal richtig Gas gegeben, auf den Familienurlaub verzichtet, stattdessen monatelang intensiv trainiert, in der Boulderhalle in Garmisch-Partenkirchen einst sogar die Schlüsselstelle nachgebaut, um sie jederzeit üben zu können. Der Wirt der Höllentalangerhütte unterstützte das Vorhaben auch bereits auf seine Art. Ein Doppelzimmer, von dem aus man durch das Fenster direkt auf die Schwarze Wand blickt, war für Glowacz und Dorfleitner geblockt. Bei halbwegs gutem Wetter wagten die befreundeten Kletterer schon etliche Versuche. Bisher ohne Erfolg. Auch Glowaczs Ehefrau, Tanja verewigte sich einst mit zwei Sätzen unter Stefans Facebook-Post: „Kommt da bitte endlich rauf! Ein halbes Leben geht das jetzt schon so!“
Einem Außenstehenden mag die selbst auferlegte Sisyphusarbeit ein Rätsel bleiben. Der Begriff „Besessenheit“ liegt daher nahe. Die beiden Kletterer allerdings definieren ihr Abenteuer wesentlich romantischer. „Kürzlich waren wir um 5.30 Uhr in der Wand. Die Atmosphäre im frühen Licht war magisch“, sagt Dorfleitner und Glowacz fügt hinzu: „Weite Reisen oder gar Expeditionen sind in Zeiten der Pandemie ohnehin nicht möglich. Wenn also nicht jetzt, wann dann!“